Stellungnahme des Dachverbandes der Kinder-und Jugendgremien Thüringen zum Sechsten Gesetz zur Änderung der Thüringer Kommunalordnung (ThürKO)

Hier: Anhörungsverfahren gemäß §§79 und 112 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Thüringer Landtags

Der Dachverband der Kinder-und Jugendgremien Thüringen (DKJG Thüringen) begrüßt den Gesetzentwurfder Fraktionen DIE LINKE, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Drucksache 7/1188) zur Änderung der Thüringer Kommunalordnung (ThürKO). Der Gesetzentwurf geht auf Forderungen ein, die der DKJG Thüringen im Namen der Mitgliedsgremien und der jungen Menschen in Thüringen bereits seit seiner Gründung im Jahr 2018 erhob, geht aber an wichtigen Stellen nicht weit genug. Besonders nehmen wir die Bürger*innenbeteiligung sowie die ergänzenden Regelungen zur kommunalen Kinder-und Jugendbeteiligung in den Blick.

Die Landesregierung hat sich in zwei Koalitionsverträgen, 2014 und 2020, zur Eigenständigen Jugendpolitik bekannt sowie in der im März 2019 durch das Kabinett beschlossenen Landesstrategie Mitbestimmung (LSM) die Selbstverständlichkeit der wirksamen Mitbestimmung junger Menschen auf allen Entscheidungsebenen unter-strichen. Im Sinne des Leitbildes der LSM sind den Interessen und Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen in den Kommunen ein besonderes Gewicht beizumessen. Die ThürKO stellt in diesem Rahmen einzweckmäßiges Mittel dar, die Kinder-und Jugendbeteiligung für alle Kommunen und Landkreise verbindlich zu regeln. Folgerichtig sollte Satz 2 des unter A dargestellten Problems um die Stärkung der „Informations- und Beteiligungsrechte von Kindern und jungen Menschen“ ergänzt werden. Diese Ergänzung würde die fehlende Normierung der kommunalen Kinder-und Jugendbeteiligung in der ThürKO deutlich als Regelungsbedürfnis benennen.

Wir begrüßen bezüglich der unter B dargelegten Lösungen die Erweiterung der Informations-und Beteiligungsrechte der Einwohner*innen und insbesondere die Einführung der Einwohner*innenfragestunde in öffentlichen Sitzungen durch § 15 Abs. 1a ThürKO. Dadurch wird Einwohner*innen die Möglichkeit eingeräumt, zu Beratungs-gegenständen oder anderen kommunalen Angelegenheiten Fragen an die Oberbürgermeister*in bzw. die Landrät*in, die Mitglieder des Stadtrates bzw. des Kreistages, eine Fraktion oder eine*n Ausschussvorsitzende*n zu richten sowie Vorschläge und Anregungen zu unterbreiten. Von großer Wichtigkeit bezüglich der Konkretisierung der Einwohner*innenfragestunde in der Hauptsatzung ist, die Einwohner*innen mit der gleichen Frist wie die Stadtrats- bzw. Kreistagsmitglieder zu den Sitzungen, zu der die Frage auf der Tagesordnung steht, einzuladen. Zudem sollte die Fragestunde keine Altersbeschränkung vorsehen und allen Menschen barrierefrei zugänglich sein. Es sollten mehrere Nach- bzw. Zusatzfragen zugelassen werden.

Inwiefern Kinder, Jugendliche und junge Erwachsende überhaupt von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung in allen sie berührenden Angelegenheiten sowie angemessene Berücksichtigung im kommunalpolitischen Zusammenhang gemäß Art. 12 Abs. 2 CRC (Kinderrechtskonvention) Gebrauch machen können, hängt häufig von Umständen ab, die sie selbst kaum beeinflussen können. Etwa erfordert die Gründung eines Kinder-und Jugendbeteiligungsgremiums für gewöhnlich die von Person und Parteibuch abhängigen Zustimmung einer Bürgermeister*in oder einer Landrät*in. Angesichts dessen ist die erweiterte Möglichkeit zur Beiratsbildung durch§ 26 Abs. 4 ThürKO erfreulich. Unsere Erfahrung zeigt, dass sich in Thüringer Kommunen bestehende Jugendbeiräte, d.h. eigenständige, konfessionell, verbandspolitisch sowie parteipolitisch unabhängig arbeitende Interessenvertretungen der Kinder und Jugendlichen, als Orte demokratischer Selbstorganisation junger Menschen bewährthaben. Junge Menschen übernehmen in diesem Rahmen Verantwortung für eine auf die Gegenwart und die Zukunft gerichtete Sachdebatte über die Weiterentwicklung ihres unmittelbaren Lebensumfeldes. Sie erproben nicht lediglich, sondern praktizieren eine lebendige und generationsübergreifende Debattenkultur. Daher sind Jugendbeiräte ein nicht mehr wegzudenkender und unverkennbarer Beitrag dazu, die Lebens- und Entwicklungsmöglichkeiten in Thüringen unter direkter und wirksamer demokratischer Beteiligung junger Menschen zu verbessern. Um die Jugendbeiräte zusätzlich in ihrem Ehrenamt und bürgerschaftlichen Engagement zu stärken, sollte folgender Passus in § 26 Abs.4 ThürKO ergänzt werden: „Die Behörden der Gemeinden, der Landkreise und der anderen Gemeindeverbände unterstützen die Tätigkeit der kommunalen Jugendbeiräte.“ Weiterhin regen wir aus kinder- und jugendbildungs- sowie demographiepolitischer Perspektive die Thüringer Landespolitik dazu an, ein Thüringer Gesetz zur Stärkung der Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte von Jugendvertretungen auf den Weg zu bringen.

Im Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen ist die geplante Ergänzung um §26a ThürKO „Beteiligung von Kindern und Jugendlichen“ besonders lobend hervorzuheben. Das ist ein richtungsweisender Schritt hin zur umfassenden politischen Kinder-und Jugendpartizipation. Um jedoch ein robustes Mandat für Kinder- und Jugendbeteiligung darzustellen, reicht der vorgeschlagene Passus nicht aus. Bezüglich der Formulierung „Planungen und Vorhaben, die die Interessen von Kindern und Jugendlichen berühren“ gemäß § 26a ThürKO gilt zu befürchten, dass Verwaltungen in die Position versetzt werden, allein festzulegen, was Kinder-und Jugendthemen im originären Sinne sind; ohne aber junge Menschen zu befragen. Das entspricht nicht dem Geist einer ernst gemeinten Eigenständigen Jugendpolitik. Wir plädieren dementgegen für die themenoffene Mitbestimmung: Jugend-und zukunftsrelevant sind im Grunde alle Themen der Kommunalpolitik. Da die Gemeinden nicht explizit dazu verpflichtet sind, Kinder- und Jugendliche sowie bestehende Kinder- und Jugendgremien bereits bei der Schaffung und Ausgestaltung der Beteiligungsverfahren einzubeziehen, obliegt den Gemeinden die Festlegung von Themengebieten, die junge Menschen etwas angehen sollen. Das birgt die Gefahr, dass die politische Kinder- und Jugendpartizipation teilweise vom Wohlwollen der Verwaltung und der Mandatsträger*innen abhängig ist. Um dem vorzubeugen, sollte gesetzgeberisch sichergestellt werden, dass Kinder-und Jugendbeteiligungsgremien in jedem Fallbezüglich den von ihnen angefragten und bearbeiteten Themen das weitestgehende Maß an Information, Beteiligung und Mitgestaltung garantiert wird.

Wir regen daher die Ergänzung nach Vorbild von § 18a BbgKVerf (Kommunalverfassung des Landes Brandesburg) an: „Die Gemeinde sichert Kindern und Jugendlichen in allen sie berührenden Gemeindeangelegenheiten Beteiligungs-und Mitwirkungsrechte. Die Hauptsatzung bestimmt, welche Formen zur eigenständigen Mitwirkung von Kindern und Jugendlichen geschaffen werden. Kinder und Jugendliche sind an der Entwicklung der Formen angemessen zu beteiligen.“ Nur ein in diesem Sinne verbindliches und nachvollziehbares Recht auf Mitbestimmung für junge Menschen in der ThürKO kann den Anreiz der Stadtrats-und Kreistagspolitiker*innen steigern, junge Menschen sowohl als politische Akteur*innen-Gruppe als auch als Zielgruppe stärker in den Blick zu nehmen. Hiermit unmittelbar verbunden ist, je nach Form des Kinder-und Jugendbeteiligungsgremiums Regeln zu Wahlberechtigten, zu Nominierungs- und Wahlverfahren, zur Ausstattung, zur Arbeitsweise und zu den Mitwirkungsrechten mit jungen Menschen zu erarbeiten und zu beschließen. Da zur kommunalen Kinder-und Jugendbeteiligung fraglos auch die transparente Dokumentation und die professionelle Prozessevaluation gehören, sollte zudem folgender Passus in § 26a ThürKO aufgenommen werden: „Die Kommune sollen in geeigneter Weise darlegen, wie sie die Interessen von Kindern und Jugendlichen berücksichtigen und die Beteiligung nach Absatz 1 durchgeführt hat.“ (LSM, S. 21)

Wir setzen uns darüber hinaus dafür ein, dass Vertreter*innen der Stadt- bzw. Kreisschüler*innenvertretung sowie der lokalen bzw. regionalen Jugendmitbestimmungsgremien unter Berufungauf § 26a Satz 1 ThürKO dauerhaft allen kommunal-politischen Fachausschüssen als Expert*innen für ihre Interessen, Perspektiven und Lebenslagen als beratende Mitglieder angehören. In diesem Sinne regen wir folgende Ergänzung von § 26 ThürKO an: „Die Beteiligung von Mitgliedern der Kinder- und Jugendvertretung an den Sitzungen der Ausschüsse regelt die Geschäftsordnung. Für Jugendvertreter*innen sowie jungen Menschen ist insbesondere ein Rederecht, ein Anhörungsrecht und ein Antragsrecht in den Ausschüssen vorzusehen. Zu Themen, von denen junge Menschen in besonderem Maße und unmittelbar betroffen sind, erhalten diese gesondert Gelegenheit zur Stellungnahme.“ Das soll sicherstellen, dass nicht nur über, sondern auch mit jungen Menschen gesprochen wird und sie die Gelegenheit erhalten, eigenständig und wirksam für ihre Belange einzustehen. Ähnlich wie die gegenwärtig andauernden Anpassungen der Satzungen und Geschäftsordnungen der Jugendämter für mehr Jugendfreundlichkeit ist jedoch fraglich, wie schnell sich die Beteiligungspraxis vor Ort tatsächlich verbessert. Hierbei drängt der DKJG Thüringen auf baldige Anpassungen der Ausschusssatzungen und Sitzungskultur. Wir begrüßen weiterhin ausdrücklich die im Gesetzentwurf vorgeschlagene grundsätzliche Öffentlichkeit der Ausschusssitzungen. Durch § 43 ThürKO wird hierbei mehr Transparenz in kommunalpolitische Diskussions- und Entscheidungsprozesse gebracht. Nicht zuletzt eröffnen sich jungen Menschen somit die Chance, Debatten mitzuverfolgen sowie Entscheidungen nachzuvollziehen.

Um alle Gemeinden, Landkreise und andere Gemeindeverbände Thüringens ausdrücklich dazu zu ermuntern, Kinder- und Jugendvertretungen einzurichten, sprechen wir uns dafür aus, folgenden Passus aus den Empfehlungen der LSM in § 34 ThürKO aufzunehmen: „Der Gemeinderat kann darüber hinaus beschließen, dass in der Gemeinde eine Kinder-und Jugendvertretung eingerichtet wird. Das Nähere regelt die Hauptsatzung. Der Kinder- und Jugendvertretung sind angemessene finanzielle Mittel zur Verfügung und eine Begleitung sicher zu stellen. Über den Umfang entscheidet der Gemeinderat im Rahmen des Haushaltsplans. Die Beteiligung von Mitgliedern der Kinder-und Jugendvertretung an den Sitzungen des Gemeinderats in Kinder-und Jugendangelegenheiten regelt die Geschäftsordnung.“ (LSM, S.22)
Diese Änderung würde hinsichtlich der ungleichen räumlichenVerteilung der Kinder- und Jugend-beteiligungsgremien zu einer Verbreitung und Verstetigung dieser führen sowie klarstellen: Kinder- und Jugendvertretungen haben einen festen Platz in der Thüringer Kommunalpolitik. Sie werden staatlich anerkannt, gefördert und ernst genommen. In diesem Sinne sollte die ThürKO, um Kinder- und Jugenvertretungen eine ihrer Rolle entsprechende Mitsprache zu ermöglichen, auch um folgenden Satz ergänzt werden: „Für die Kinder-und Jugendvertretung ist insbesondere ein Rederecht, Anhörungsrecht und Antragsrecht im Gemeinderat vorzusehen.“ Somit würde sichergestellt, dass Kinder- und Jugendvertreter*innen sich auch aktiv im Gemeinderat einbringen können, wann immer die Interessen und Bedürfnisse junger Menschen berührt werden. Kinder-und Jugendvertreter*innen im Gemeinderat können ein Garant für eine jugend- und zukunftsgerechte Kommunalpolitik sein.

Wir merken bezüglich der Kosten (D) an, dass weder ein Mehr an demokratischer Beteiligung noch an Transparenz kostenneutrale Unterfangen sind. Vielmehr erfordern der Ausbau angemessener Strukturen und Ressourcen für die Einbeziehung von jungen Menschen sowie Kinder- und Jugendbeteiligunsgremien entsprechende Mehrausgaben. Diese sind demokratisch gerechtfertigt und partizipatorisch überaus sinnvoll. Es ist darauf Acht zu geben, dass die Qualität von Beteiligungsprozessen auf keinen Fall von der finanziellen Leistungsfähigkeit der Kommune abhängig ist. Aus diesem Grund regen wir an, eine Landesprogramm zur Kinder-und Jugendbeteiligung aufzulegen, um die demokratische Beteiligung und das ehrenamtliche Engagement von Jugendlichen im gesamten Freistaat zu fördern. Landesweit sollen innovative und strategisch bedeutsame Vorhaben der Jugendbeteiligung gefördert und die Eigenständige Jugendpolitiknoch stärker vor Ort verankert werden.

Der DKJG Thüringen zeigt sich enttäuscht darüber, dass weder der Gesetzentwurf der FDP-Fraktion (Drucksache 7/651) noch der Gesetzentwurf der CDU-Fraktion (Drucksache 7/869) auf die Erfordernisse einer verpflichtenden Kinder- und Jugendpartizipation in kommunalen Parlamenten und deren Ausschüssen eingeht und der Eindruck entsteht, dass diese Fraktionen den Bedürfnissen der jungen Generation wenig Bedeutung beimessen.

Alles in allem sind wir davon überzeugt, dass die Nouvelle der ThürKO in der vorliegenden Version nur einen Mindeststandard für gute Jugendbeteiligung festlegt, über den hinaus Kinder- und Jugendbeteiligung mehr Aufmerksamkeit, mehr Wertschätzung und mehr öffentliche Förderung zuteilwerden sollte. Nichtsdestotrotz taugt der Entwurf mit den durch uns aufgezeigten Ergänzungen dazu, nachhaltige Beteiligungsformen für junge Menschen zu fördern. Mit den zu schaffenden Gesetzesgrundlagen verbinden wir die Hoffnung, dass die Mitbestimmung junger Menschen an wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Entscheidungen in allen Thüringer Kommunen und Landkreisen mit Tempo weiterentwickelt und tatsächlich bald zu einer Selbstverständlichkeit wird.

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